Sonntag, 21. September 2008

Minsky überall: das Revival eines Ökonomen

Momentan liest man in der Wirtschaftspresse immer häufiger den Namen von Hyman Minsky, zuletzt gleich zweimal binnen einer Woche in der FAZ ("Das magische Minsky-Moment" am 18. und "Marx hat recht" am 21. September).

Stark korreliert zum Auf und Ab an den globalen Finanzmärkten werden auch die Ideen der Wissenschaftler, die sich mit diesem Thema beschäftigt haben, in Krisenzeiten wiederentdeckt und befinden sich - Parallelen zur Blasenbildung an den Märkten sind unverkennbar - plötzlich plötzlich wieder in aller Munde. Die New Yorker hat das in ihrem Kommentar "The Minsky Moment" treffend illustriert:



Aber zurück zu Minsky. Rainer Hank fasst sie in seinem o.g. FAZ-Artikel wie folgt zusammen:

"Erst wagen die Menschen gar nichts und scheuen jedes Risiko. Dann entdeckt plötzlich einer irgendwo ein Geschäft und ein anderer, der daran mitverdienen will, ist bereit, ihm Geld zu leihen. Plötzlich machen alle mit, weil sie ziemlich dumm da stünden, wenn ihre Umwelt den großen Reibach ohne sie machen würde. Weil die Zinsen niedrig sind, ist Geld billig zu haben. Und weil die wirtschaftlichen Aussichten stabil sind, taucht Kassandra ab. „Lebe riskant, und verdiene viel Geld“, heißt die Devise. Der Spekulant ist ein höchst emotionsgeladenes Wesen mit animalischen Instinkten.

Dann kommt der Minsky-Punkt. Irgendein Mitspieler bekommt es mit der Angst und verweigert die Zahlung. Einer ist noch nicht schlimm, der zweite vielleicht schon; denn sein Verhalten steckt an: Die Blase platzt. Und die Neigung, Risiken einzugehen, nimmt rapide ab. Plötzlich kann niemand mehr verstehen, wie alle noch vor wenigen Jahren berauscht waren: Die Helden von gestern sind die Dummen von heute."


Wer sich näher mit diesen Ideen beschäftigen will, findet auf den Seiten des Levy Economics Institute, an dem Minsky von 1990 bis zu seinem Tod 1996 als Wissenschaftler tätig war, einige seiner Working Paper:

Ebenso interessant lesen sich die aktuellen "Public Policy Briefs" des Levy Colleges, in denen die die US-Kreditkrise in der Tradition des verstorbenen Kollegen interpretiert und analysiert wird:

Donnerstag, 18. September 2008

Sentiment-Index: Indikator für die "Stimmung" des Marktes

Wie viele andere vertrete auch ich die These, dass das Auf und Ab der Finanzmärkte nicht nur von den Fundamentaldaten sondern zu einem wesentlichen Teil auch von der "Stimmung" des Marktes, dem sogenannten Sentiment, beeinflusst wird.

Ein Indikator, der dieses Marktsentiment abbilden und somit quantifizierbar machen soll, ist der sogenannte Bull/Bear-Index, der seit August 2002 von cognitrend im Auftrag der Deutschen Börse ermittelt wird. Dazu werden 150 institutionelle Investoren wöchentlich befragt, wie sie die Entwicklung des DAX im Laufe der nächsten vier Wochen einschätzen und anschließend einer der drei Kategegorien Bullish/Neutral/Bearish zugeordnet.

Hier einmal der Verlauf dieses DAX-Sentiments für die letzten zwei Jahre:



Interessant ist jetzt natürlich die Frage, ob dieser Indikator denn tatsächlich die Entwicklung des Marktes antizipiert, d.h. ob die Einschätzung der Marktteilnehmer zutreffend ist.

Dazu habe ich im Folgenden einmal den Sentiment-Index (rot/grün) gemeinsam mit der Differenz [Stand DAX 4 Wochen nach der Befragung] - [Stand DAX zum Zeitpunkt der Befragung] (grau) abgetragen:



Die Grenze zwischen "positiven" (grün) und "negativem" (rot) Sentiment wurde bei 65% festgelegt, da dies die höchste Korrelation zwischen positivem Sentiment und DAX-Anstieg ergibt.

Hier ist vielleicht ein kurzer Exkurs zur Berechnung des Bull/Bear-Index angebracht: Ein Wert von 65% bedeutet im Falle des DAX-Sentiments, dass der Anteil der Bullen im Markt 27 Prozentpunkte höher liegt als der der Bären (z.B. 51% Bullish, 25% Neutral, 24% Bearish).

Für den in ähnlicher Weise ermittelten TecDAX-Sentiment (im Unterschied zum DAX werden hierfür jedoch zusätzlich 150 "Heavy Trader" aus dem Privatkundenbereich in die Untersuchung einbezogen) bedeutet ein Wert von 65%, dass der Anteil der Bullen 21 Prozentpunkte höher liegt als der der Bären. Warum hier eine unterschiedliche Skalierung Anwendung findet, ist mir unklar.

Aber wie dem auch sei, bei einem Schwellenwert von 65% ergibt sich mit 0,18 die maximale Korrelation zwischen Sentiment und tatsächlicher Marktentwicklung, ein Indiz für eine gewisse Abhängigkeit zwischen den beiden Größen. Betrachtet man nun allerdings die Wahrscheinlichkeit, dass das Sentiment die Richtung der Marktentwicklung vorhersagt, gibt sich ein eher ernüchterndes Bild: die Wahrscheinlichkeit, dass bei einem Sentiment über 65% der Markt steigt bzw. bei einem Wert unter 65% der Markt sinkt, liegt bei 46% und ist damit geringer als bei einer zufälligen Vorhersage!

Nun lässt sich argumentieren, dass die Investoren eventuell besser die kurzfristige Marktentwicklung als die der nächsten vier Wochen bewerten können. Vergleicht man das Sentiment daher mit der Veränderung des DAX im Vergleich zur Folgewoche, sinkt die maximale Korrelation sogar weiter auf 0,08 und die Wahrscheinlichkeit einer richtigen Tendenz bleibt mit 47% weiterhin unter 50% (der Schwellenwert für ein "positives" Sentiment liegt in diesen Fall bei 64%).

Eine weitere Möglichkeit, die ich in Betracht gezogen habe: nicht der absolute Wert des Sentiments ist ausschlaggebend, sondern die Veränderung zur Vorwoche. Um dies zu untersuchen, habe ich die Veränderung des Sentiments mit der Marktänderung in den folgenden vier Wochen verglichen: Die Beobachtungen sind nahezu unkorreliert (0,03), die Wahrscheinlichkeit einer korrekten Tendenz steigt jedoch mit 50,5% erstmals über die 50%-Grenze.

Wählt man wie zuvor als Vergleichszeitraum eine statt vier Wochen, so die Korrelation der beiden Größen mit -0,04 sogar leicht antikorreliert, die Wahrscheinlichkeit für eine korrekte Vorhersage rutscht mit 47% wieder unter die 50%-Grenze.

Donnerstag, 11. September 2008

FTD: Warum Spekulationsblasen toleriert werden

Schon etwas älter, aber keineswegs uninteressant, ist ein Artikel , der im Juni auf den Seiten der Financial Times Deutschland veröffentlicht wurde. Dort wird die Frage aufgeworfen, ob es in Zeiten immer häufiger auftretender Spekulationsblasen sinnvoll ist diese möglichst frühzeitig zu erkennen und einzudämmen - oder ob im Gegenteil der immer wiederkehrende Zyklus aus Boom und Crash für den US-Markt mittlerweile nicht sogar lebensnotwendig ist.

Der Artikel bezieht sich im Wesentlichen auf einen Aufsatz von Eric Janszen, Gründer des Internetportals itulip.com (der Name leitet sich von der "Tulipmania" des frühen 17. Jahrhunderts ab) und bekannt geworden durch seine frühen Warnungen vor dem Ende des "Dotcom"-Booms Anfang 2000.

In diesem Aufsatz stellt Janszen die Hypothese auf, dass die US-Wirtschaft ohne Spekulationsblasen nicht mehr funktionieren könne. Oder auf den Punkt gebracht: "Given the current state of our economy, the only thing worse than a new bubble would be its absence."

Er argumentiert, dass die nächste Blase (in seinen Augen wäre der Sektor Alternative Energien ein aussichtsreicher Kandidat) genug "fiktiven Wert" generieren müsse, um die Verluste aus der aktuellen Immobilienblase wieder auszugleichen.

Nimmt man einmal an, Janszen hätte mit seiner Einschätzung der Situation recht. Dann wäre die US-Wirtschaft in jedem Fall dem Untergang geweiht: Um die Verluste vergangener Blasen wett zu machen, wären in immer kürzeren Zeitabständen neue Blasen notwendig, ein Kreislauf der zwangsläufig früher oder später nicht mehr aufrecht erhalten werden könnte.

Von daher stellt sich durchaus die Frage, ob es nicht doch von Vorteil ist, diesen Kreislauf bereits jetzt zu durchbrechen und die nächste Blase bereits frühzeitig einzudämmen!

United Airlines: Tücken des Computerhandels

Spätestens seit dem Crash im Oktober 1987 steht der Computerhandel, d.h. das maschinelle Ausführen von Transaktionen nach im Vorfeld definierten Algorithmen, im Verdacht zum Platzen einer Blase beizutragen - als einfachstes Beispiel sind hier "Stopp-Loss-Order" zu nennen, die beim Unterschreiten eines Schwellenwertes eine sofortige und unlimitierte Verkaufsorder auslösen.

Ein aktuelles Beispiel für die Tücken und die Gefahren, die mit dieser Form dest automatisierten Handels verbunden sind, könnte der Fall "United Airlines" (UAL) dienen.

Nachdem am Montag ein über 6 Jahre alter Zeitungsbericht im Netz kursierte, der vermuten ließ UAL müsse erneut Gläubigerschutz beantragen, brach der Kurs von 12$ auf 3$ ein und erholte sich erst als das betroffene Unternehme eine entsprechende Stellungnahme veröffentlichte.

Sicherlich trug das nervöse Umfeld und die negativen Schlagzeilen der Vormonate seinen Teil zu der heftigen Marktreaktion bei, doch scheint die Stärke des Kursausschlags auch vom Computerhandel beeinflusst worden zu sein. Presseberichten zufolge stießen Programme, die das Netz nach kursrelevanten Nachrichten durchkämmen, auf die Meldung und veranlassten sofortige Verkäufe der UAL-Aktie.

Interessant ist aber vor allem, wie die Uralt-Nachricht Ihren Weg auf den Ticker vom Bloomberg fand: Aus welchem Grund auch immer (als Vermutung werden reisewillige Floridianer auf der Suche nach Flugverzögerungen genannt), tauchte die "News" unter den beliebtesten Artikel der "Sun Sentinel" auf, wurde dort von Google Nachrichtencrawler aufgespürt und anschließend von einem Research-Unternehmen bei Bloomberg eingestellt.

Bleibt die Frage, wie die Klicks zustande kamen, die diese Ereigniskette ausgelöst haben: War es tatsächlich eine eher zufällige Häufung aufgrund der Hurrikan-Saison oder doch eine konzertierte Aktion, mit dem Ziel die Schwachstellen im System auszunutzen und mit den Kursbewegungen Geld zu verdienen?

Man darf also gespannt auf die weitere Entwicklung sein.

manager magazin: Wann platzt die nächste Blase?

In der August-Ausgabe des manager magazin findet sich ein interessanter Artikel zum Thema , bei dem die einzelnen Phasen einer Spekulationsblase dargestellt werden.

Grundtenor: Jede Blase ist aus Investorensicht auch eine Chance, wer zu früh aussteigt verliert ebenso wie derjenige der den Ausstieg verpasst. Während der normale Investor lediglich im Sinne einer vergebenen Chance verliert, kann ein zu früher Ausstieg für Fondsmanager aber existenzielle Folgen haben, da bei Ausbleiben einer zum Markt vergleichbaren Rendite hohe Mittelabflüsse einsetzen.

Neueste Forschungsergebnisse deuten laut dem Artikel auf einen Automatismus hin: "Wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, muss sich in der heutigen Welt ein Trend fast zwangsläufig zur Blase entwickeln." Kennt man die typischen Phasen solch einer Blase, lässt sich durch richtige Wahl des Einstiegs- und Ausstiegszeitpunktes gutes Geld verdienen.

Dazu wird der Mania Index des kanadischen Research-Hauses Bank Credit Analyst (BCA) angeführt und ein Vergleich zur aktuellen Entwicklung des Ölpreises gezogen. Ergebnis: "A spooky similarity".

Nachdem ich im Netz wenig Hilfreiches zu diesem ominösen Mania Index finden konnte und die beiden Charts für meinen Geschmack fast etwas zu viel Ähnlichkeit aufweisen, habe ich BCA bzw. die Autoren des manager magazin direkt kontaktiert und um Hintergrundmaterial zur Ermittlung des Indexes gebeten.